unabhängig - überparteilich grün - agnostisch - unakademisch
2. Jahrgang



erschienen: Januar 2011

No. 2



Thema:


Inflationsheilige & Muck Lamberty





Die Geschichte alternativer Bewegungen
im Outback (2)
Eine unakademische Sammlung zur Entwicklung
fortschrittlicher Bewegungen in Nord-Osthessen und West-Thüringen.
   Im vorigen 1. Teil haben wir die Anfänge  der grün-ideellen Bewegung in Deutschland betrachtet, wobei das Outback, durch das Meissner Jugend- treffen 1913, eine herausragende Bedeutung erlangte.

    Der 1. Weltkrieg unterbrach alle diese Ansätze und erst 1919 begann sich die 'alternative Szene' erneut zu formieren.

    Sektiererische, völkisch-rechtsradikale, marxistische, sozial- und lebens-reform- erische, unpolitische, naturromantische und kommerzielle Strömungen über- schnitten sich in einem Volk, das die Schuld am ersten Weltkrieg kollektiv verleugnete und den aufgezwungenen Friedensvertrag von Versailles 1919  als schreiendes Unrecht empfand.
   
    Diese, an den Folgen der Niederlage leidenden Menschen waren empfänglich für utopistische Heilsversprechen quer durch alle politischen, kulturellen und sozialen Richtungen. Nur so ist zu erklären, dass es zu einem Phänomen kam, das Historiker als die Zeit der
bezeichen.





Gusto Gräser -  der deutsche Ur Hippie, 1928
 
 Zu diesen 'barfüssigen Propheten'  ge- hört auch ein kurioser Mann, der seine Bewegung bis in Outback tragen wird:

...strikt vegetarisch...

    1913 nimmt Muck als 'Wandervogel' am Jugendtag auf dem Hohen Meissner teil, nachdem er schon mit vierzehn Jahren in Kontakt zu Lebensreformkreisen gekommen war.
Er ist strikter Vegetarier, inspiriert durch Gusto Gräser, Dichter, Naturprophet, Kriegsdienst-verweigerer und Mitbegründer der Landkommune Monte Verità bei Ascona, die heute als eine der Wiegen der Alternativbewegung gilt.

 



Landkommunen Leben 1920


    Allen europäischen Staaten gemeinsam ist im ersten Nachkriegsjahr ein eigenartiges Phänomen, das in Frank- reich als »Taumel«, in Deutschland als »Spiel- und Tanzwut« beschrieben wird: die Sucht nach Vergnügen und Ablenkung.
  
    Prassende Dekadenz in den Bars der Großstädte  und dem gegenüber der rat- und mutlose 'Deutsche Michel' im Rest des Reiches.


 
Die 20er: Schwarz die Zukunft,
Rot die Gegenwart,
Golden die Vergangenheit

    Noch ein wesentlicher Einflußfaktor für Muck Lamberty ist das allgegenwärtige, völkische Gedankengut als Vorbote des aufkeimenden Nazismus.
    So lebt und verkündet er einen kruden MIx aus katholischem Marienkult, lebensreformerischen und völkischen Idealen sowie Wandervogel - und Natur- mystik,  der dazu führt, dass er in den Mittelpunkt seiner Heilslehre die deutsche Frau stellt, - in Gestalt einer völkischen 'Maria'.

    Sie soll den deutschen Christus gebären, gezeugt vom Propheten, also von Muck selbst. Da er die Fehlerquote wohl selbst als hoch einschätzt, schwängert er in kurzer Zeit eine große Anzahl gutgläubiger Frauen, was ihm letztlich nur eine Vielzahl von Vaterschaftsklagen einbringen wird.
  
Im Mai 1920 beginnt unter der Führung von Muck eine Gruppe Jugendlicher im Erzgebirge einen Wanderzug nach Westen, durch Franken und Thüringen.

   Im oberfränkischen Kronach ruft Muck zur Gründung der 'Neuen Schar' auf und zieht anschließend mit seiner Gruppe über Coburg, Saalfeld, Rudolstadt, Jena, Weimar, Erfurt und Gotha bis nach Eisenach zur Wartburg.

  Sein Ziel ist die Sammlung aller jungen Menschen und der Kampf für die Volksgemeinschaft gegen alles Profane, Gemeine und gegen Ausbeutung.



  Wie mittelalterliche Wiedertäufer zieht die 'Neue Schar' singend, tanzend und predigend durchs Land und verkündet die „Revolution der Seele“. Sie streben einen Zustand des „Schwebens“ an und praktizieren Selbsterfahrung in gruppen- dynamischen 'Thing'-Sitzungen.

  Gusto Gräser spricht an ihren Lager- feuern, seine Gedichte schmücken ihre Flugblätter. Sie schlafen in der freien Natur, feiern in Kirchen, die sie mit Blumen und Zweigen schmücken, und verbreiten auf ihrem Weg eine wahre Tanzeuphorie.
Wie der legendäre Rattenfänger von Hameln zieht Mucks Gruppe erst hunderte, dann tausende von Menschen in ihren Bann.



 
 Den Höhepunkt des Zuges bildet Erfurt, auf dessen Domplatz mehr als 10.000 Menschen in einem rauschhaften Gemeinschaftserlebnis tanzen.

  Eine Zeitzeugin: „Eine unzählige Menschenmasse wälzt sich den Berg heran. Es scheint, als seien alle Menschen der Stadt in Anmarsch begriffen. Voran schreitet ein kleiner Trupp sonderbar gekleideter Burschen und Mädchen. An ihren Seiten und Händen halten sich zahlreiche Kinder fest, die sie beim Ausschreiten hindern und die sich gegenseitig zur Seite drängen. Aber, es sind nicht nur Kinder, es ist ein ganzes, buntes Volk, was nachfolgt.“




Einzug in Erfurt...





...und Tanz auf dem Domplatz



...Inbrunst mit Brunst verwechselt...

  Die Öffentlichkeit bewertet Mucks Zug durchaus zwiespältig. Während einige protestantische Pfarrer der Schar ihre Kirchen öffnen, lehnt die katholische Kirche die Gruppe ab.

  Kritik kommt auch von den untereinander zerstrittenen Arbeiterparteien, die Muck vorwerfen, die Jugend zu verdummen und vom Klassenkampf abzubringen.

  Für die konservativen Deutschnationalen dagegen ist  Muck ein gefährlicher 'Bolschewist'.
  

Ein Historiker fasst es so zusammen:
„ ... diese nannten ihn einen Klassenfeind, jene hielten ihn für einen ausländischen Agenten. Doch Mucks Appell richtete sich nicht an sie. Alles war ganz unschuldig und rührend.“

    Auch in die Literatur findet der Zug der 'Neuen Schar' Eingang. Der Gräser-Anhänger Hermann Hesse wanderte zwar nicht selbst mit, aber verklärte diesen „Kinderkreuzzug“ in seiner Erzählung 'Die Morgenlandfahrt':

   „Erschüttert vom Kriege, verzweifelt durch Not und Hunger, tief enttäuscht durch die anscheinende Nutzlosigkeit all der geleisteten Opfer an Blut und Gut, war unser Volk damals manchen Hirngespinsten, aber auch manchen echten Erhebungen der Seele zugänglich, es gab bacchantische Tanzgemeinden und wieder- täuferische Kampfgruppen, es gab dies und jenes, was nach dem Jenseits und nach dem Wunder hinzuweisen schien“.

   Im Oktober 1920 zieht die „Neue Schar“ zurück nach Hartenstein ins Erzgebirge. Den Winter verbringt die Gruppe mit behördlicher Duldung auf der Leuchtenburg bei Kahla. Hier verwirklicht Muck auch erstmals seine alten Pläne einer handwerklichen Siedlungsgemeinschaft. Die bei Muck Gebliebenen produzieren Drechsel-, Schnitz- und Tischlerarbeiten zur Versorgung der Schar.
   
    Im Frühling will Muck predigend und tanzend nach Norddeutschland und Berlin zu ziehen. Dazu wird es aber nicht mehr kommen. Ein weibliches Mitglied der Schar wendet sich – wahrscheinlich aus Eifersucht – an die Behörden und wirft Muck vor, eine „Haremswirtschaft“ zu führen.    



..starke erotische Stimmung...



... zahlreiche Kinder...



Muck's story auf Notgeld


Es kommt zu einem Verhör, in dem Muck die gegen ihn erhobenen Vorwürfe unumwunden bestätigt und durch „die geschlechtliche Not der Frauen“ rechtfertigt.

    Ein Erfurter Pfarrer berichet: „Die starke erotische Stimmung lag ja offen zutage. [...] Man denke doch nicht, daß diese Lieder und diese Bewegungen etwas anderes seien als Erotik.“

 Die Öffentlichkeit und viele ehemaligen Sympathisanten wenden sich von ihm ab. Muck und seine Schar müssen die Leuchtenburg im Februar 1921 verlassen.
Eine Zeitung wirft der Gruppe vor „Inbrunst mit Brunst zu verwechseln“.

    Auch einige ehemalige Mitglieder der Schar erkannten im Nachhinein, dass der von ihnen eingeschlagene Weg falsch und zum Scheitern verurteilt war: „Das müssen wir, wenn wir ehrlich sind, uns eingestehen und auch denen sagen, die noch an uns oder diesen Weg glauben. Unsere Aufrufe waren Aufrufe zum Rausch und unser Rufen nach Tiefe hatte oberflächliche Gefühlsschwelgereien zur Folge. Wir waren selbst schuld daran."

  Muck und die „Neue Schar“ verschwinden aus der Öffentlichkeit, trennen sich aber nicht.

   In Naumburg gründet er eine Drechselwerkstatt unter dem Namen „Naumburger Werkschar“, die bald in ganz Deutschland bekannt wird.

    Wirtschaftlich hat Muck von da an ausgesorgt. 1922 heiratet er, - der missionarische Eifer der Schar ist inzwischen erloschen.
Langsam wächst auch Gras über den „Skandal“.
 

....die geschlechtliche Not der Frauen


...Aufrufe zum Rausch



   
    Das letzte Bild zeigt die junge Schar vor Burg Ludwigstein. Muck war im Outback, - aber war er auch einer der Begründer der 'Vegetarischen-Lebensgemeinschaft' in Sontra-Donnershag, die um 1920 etwa 300 Mitglieder hatte? 





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